MUSOLF OBJEKTEMACHER

HOME

BIOGRAPHIE

WERKE:

SUBJEKTIVE  OBJEKTE

OBJEKTE    COLLAGEN

INSTALLATIONEN

TEXTE / EDITIONEN

AUSSTELLUNGEN

NETZ-PROJEKTE:

EXTERRITORIALE ZONE

FLYER  KNÖDEL  TRAIN

MAILART

LITERATUR

PRESSE

LINKS

KONTAKT

SUMMARY:

      

      

Abschied von Johannes J. Musolf

Bei der Beisetzung von Johannes J.Musolf am 10.Oktober 2008 hielt der langjährige Freund des Künstlers, Gerhard Bökel, folgende Trauerrede:
 

Lieber Johannes,

über viele Jahre hast Du Deiner Freundin M. Briefe geschrieben. Sehr persönliche Briefe, die aber immer auch für die Besucher Deiner Ausstellungen und später für Deine Leser gedacht waren.

So wird es Dich nicht wundern, wenn auch ich heute Deinem Beispiel folge und meinen letzten an Dich gerichteten Brief jetzt, in der Stunde des Abschiednehmens, vorlese. Deiner Ulla, Deinen Schwestern, Deinem Bruder, Freunden, Weggefährten, Nachbarn.

Wir sind sehr traurig, dass wir von Dir Abschied nehmen müssen. Und doch gönnen wir Dir die Ruhe nach dem schweren Leiden.

Ja, noch vor wenigen Tagen hast Du gehofft, zu Ulla in das Tiefenbacher Mühlchen zurückkehren zu können. Und sei es im Rollstuhl, hast Du gesagt. Du hast aber auch hinzugefügt, wie Du nicht weiter leben willst. Wenige Stunden nach Reanimation und Versetzung ins künstliche Koma konnte ich noch mal bei Dir sein. Ulla und mir war an Deinem Krankenbett klar: So wolltest Du nicht leben.

Wenn ich heute hier stehe, so geht das auf eine Absprache zurück, die wir vor fast zwanzig Jahren getroffen haben und an die Du mich erinnert hast, als Du spürtest, dass Dein Leben zu Ende gehen könnte.

Wenn wir Abschied nehmen, lieber Johannes, dann erinnern wir uns an viele gemeinsame Erlebnisse und wir schauen zurück auf Dein Leben.

Als ich mich an diesen Brief setzte, habe ich noch einmal viel von dem gelesen, was Du uns an Briefen und Texten hinterlassen hast – aber auch , was Freunde, Weggefährten, Kritiker über Dich geschrieben haben.

Im November 1944 wurdest Du im westfälischen Steinheim geboren. Aufgewachsen bist Du am Niederrhein und in Holland.

Deine Kindheit war geprägt von Schule, Arbeit, Religion und Kirche. Von römisch-katholischer Kirche, wie Du bewusst betont hast.

Hier in Hessen bist Du nun schon seit 1965. Du hast erzählt, dass Dein Erwachsenwerden an der Bergstrasse begonnen hat, mit allem, was dazu gehört, wenn man das Elterhaus verlässt. Erstmalig hattest Du ohne Rücksprache mit den Eltern entschieden: ich studiere in Jugenheim. Das Studium hast Du dann in Darmstadt fortgesetzt und anschließend bis 1995 als Kunsterzieher gearbeitet.

Es war die Zeit der studentischen Revolten – Du wohntest in Frankfurt - als Du mit der Malerei und Malereicollagen begonnen hast. 1970 bis 1979 folgten Deine , wie Du es genannt hast, „Subjektiven Objekte“ – und seit 1979 die größeren Plastiken, Objekte und Installationen aus Maschendraht und Papier.

Lieber Johannes, wir sehen Dich vor uns auf dem Höhepunkt Deiner Schaffenskraft – im schwarzen, selbst geschneiderten Cordanzug, später im schwarzen Overall, mit gepflegtem Bart, wehenden, dünnen Haarschopf, mit wachem Blick, über die Brille schauend, eine von Deinen unzähligen Pfeifen in der Hand.

Wir sehen Dich in Deinem Atelier, Deiner Werkstatt, umgeben von Objekten an den Wänden, menschlichen Torsi, kleineren Arbeiten in den Regalen. Dazwischen Materialien für die nächsten Arbeiten. Stapelweise Zeitungen, kiloweise Maschendraht, Fundstücke unterschiedlichster Art. Wir sehen Dich vor uns voller Kreativität , künstlerischer Darstellungskraft und handwerklichem Geschick.

Dein künstlerisches Schaffen war Bewältigung, auch Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit. Dabei hast Du hast es Dir wahrlich nicht leicht gemacht. Friedhelm Häring hat es einmal so formuliert:

„Wer wie Johannes Musolf den Konflikt zwischen Herz und Kopf, Optimismus, Protest und resignativer Verweigerung offen beschreibt, hat es besonders schwer.“

Und dennoch oder gerade auch deshalb: Dein subjektives Werk hat uns, die Betrachter, auch immer zu Interpretationen menschlichen Seins weit über Deine eigenen Motive hinaus angeregt.

Deine Freunde erinnern sich an zahllose Gespräche mit Dir über Fragen der Kunstgeschichte, der Literatur, der Philosophie, auch der Politik. Auch Du hast bedauert, dass wir aus den unterschiedlichsten Gründen immer weniger die Zeit fanden zu diesem Gedankenaustausch. Jedenfalls warst Du für uns ein kluger, hintergründiger Diskussionspartner wenn wir uns mit Dir über Gott und die Welt austauschten.

Apropos Gott. Beim Schreiben dieser Zeilen geht mir durch den Kopf: wie hat es Johannes mit der Gretchenfrage aus Goethes Faust wirklich gehalten ?

Du hast mal Wolfgang Weber mit dem Satz zitiert:

„Die beste Schule des Atheisten ist ein streng katholisches Elternhaus.“

So sicher bin ich nicht, was dieses Zitat für Dich tatsächlich bedeutet hat. Ich denke aber, das ist ganz in Deinem Sinne: es bleiben Fragen offen .

Auffällig bleibt, wie bei der Gestaltung Deiner Plastiken, vor allem der Triptychen, dass eine wichtige Wurzel in den Altären lag, die Deine Kindheit und Jugend geprägt haben.

Überhaupt wurde Deine Arbeit von der Erkenntnis geprägt: nur aus selbst Erlebtem und selbst Erfahrenem kann Kunst werden - als Echo, Spiegelung, Veränderung und Weiterverarbeitung.

Bevor Du Dich an die großen Objekte herangewagt hast, waren in den siebziger Jahren Objekte mit kleinen Männchen aus Pappmasché , die Du mit Alltagsgegenständen kombiniert hast, Dein Metier.

Bei Deinen größeren Arbeiten waren später die Figuren geformt aus Maschendraht und gerissenem Zeitungspapier. Sie wurden in den Objekten ergänzt durch wertloses Material, Schrott, Fundstücken aller Art – Du warst ja ein großer Sammler des nur scheinbar Belanglosen.

Du weißt: Wir, Deine Freunde und Wegbegleiter, waren neugierig auf Dich und Deine Arbeiten. Mit Interesse, ja Spannung haben wir Deine künstlerische Entwicklung verfolgt. Als Du mit Deinen Plastiken aus Draht und Papier begonnen hast, entstanden nur Torsi. Erst später bekamen Deine Menschen dann – wie Du es beschrieben hast- wieder „Hand und Fuß.“

Wir konnten mit verfolgen, wie Anfang der neunziger Jahre Deine kraftvollen Motive optimistischer wurden. Mein Eindruck war: die Vergangenheit hattest Du offensichtlich künstlerisch bewältigt.

Seit 1987 hast Du die „Briefe an M“ zur Reflexion genutzt über das, was durch Deine Hände entstanden ist. Eine Reflexion, die Du an Deine Rezipienten Deiner Kunst weitergeben hast. Erst waren die Briefe nur an die alte Freundin M. gerichtet. Später wurde M. für Dich eine fiktive Person, die sich aus verschiedenen Menschen zusammen setzte, denen Du Deine Gedanken mitteilen wolltest.

Deine Briefe –geschrieben im Tiefenbacher Mühlchen – erinnern an die „Lettre de mon moulin“, die „Briefe aus einer Mühle“ von Alphonse Daudet. Dieser hatte Mitte des 19. Jahrhunderts eine kleine, verfallene Mühle in der Provence gekauft und die Geschichten seiner provencalischen Heimat literarisch verarbeitet. Daudets Beispiel war kein Auslöser für Deine Briefe an M. , dennoch war sein Werk für Dein eigenes literarisches Wirken nicht unbedeutend. Überhaupt können wir Deinen Texten entnehmen, mit welch großer Zahl von Autoren Du Dich intensiv auseinandergesetzt hast, zuletzt mit James Joyce. Oder auch Jean Améry, dessen Todesanzeige in der FR die Vorlage für Deine eigene sein sollte.

So konnte Fritz Encke zu dem Resumee kommen, dass Du Dich mit Deinen Briefen und sonstigen Texten endgültig und überzeugend als Literat und Produzent von Literatur ausgewiesen hast.

Ich erwähnte, dass Du Deine künstlerischen Arbeiten mit kleinen Objekten begonnen hast. Schon vor Deiner schweren Erkrankung hast Du Dich wieder verstärkt auf kleinere Arbeiten konzentriert. Kleine Collagen, meist farbig, in denen Du Alltagsgegenstände von der Büroklammer bis zum Goldpapier aus Ullas Zigarettenschachtel verarbeitet hast. Arbeiten, mit denen Du Freunden und Bekannten bei den unterschiedlichsten Anlässen große Freude bereitet hast.

Als Deine schwere Krankheit Dich nicht nur zwang, geplante Ausstellungen abzusagen, und Du nicht mehr die Kraft hattest, große Werke zu formen, war es gut, dass Du schon wieder verstärkt mit kleineren Formaten gearbeitet hattest.

Aber es kam noch ein „Glücksfall“, so hast Du es bezeichnet, hinzu: das Internet. Du weißt, dass sicher nicht nur ich gezweifelt habe , ob ausgerechnet für Dich diese technische Errungenschaft ein geeignetes Medium ist. Auch Dank der Unterstützung Deines Bruders Alfons , hast Du uns eines Bessern belehrt.

Seit 2005 hast Du an zahlreichen internationalen Mailart-Projekten teilgenommen. Das Internet, die Mailart war für Dich ein faszinierendes Fenster zur Welt. Die sympathisch-kindliche Freude, wenn Alfons Dir was technisch Neues beigebracht hatte, war schön zu sehen. Auch konnten wir am Computer Deine Aktivitäten selbst mit verfolgen. Etwa wie Deine Wanderskulptur „Exterritoriale Zone“, dieses kleine, silberne Kästchen unterwegs war: auf dem Schreibtisch des österreichischen Bürgermeisters , in der Eisenbahn oder in den Armen einer Faschingsprinzessin oder eines deutschen Ministers. Und die Begeisterung, mit der Du von neuen Künstlerkontakten rings rund um die Welt – von Brasilien bis Österreich, von Luxemburg bis China - erzählt hast, war richtig ansteckend.

Das Internet hat unsere Kommunikationsmöglichkeiten so unendlich schnell gemacht. So ist es kein Wunder, wenn sich Deine Mailart-Freunde aus den unterschiedlichsten Ländern schon wenige Stunden, nachdem sie von Deinem Tod erfahren haben, meldeten. „Ein Unglück“ , schreibt der eine und erwähnt, dass Du, Johannes, bei einem der renommiertesten europäischen Kulturfestivals, dem „Steirischen Herbst, der morgen eröffnet wird, mit Deiner Mailart vertreten bist.

Der andere schreibt: „Ich begreife nicht, dass ich keine Post mehr von Johannes erhalten werde, noch welche an ihn senden darf.“

Diese Deine Freunde aus der ganzen Welt, denen Du nur in Ausnahmefällen persönlich begegnet bist, nehmen – wenn man ihre Mails liest – in geradezu rührender Weise Abschied von Dir.

Und auch wir, die wir heute hierher gekommen sind, wollen Dir unsere Verbundenheit, Zuneigung, unseren Dank vermitteln. Unsere Gedanken sind bei Dir, Du wirst uns in unserem Leben weiter begegnen, mit Deinen Objekten, Deinen Texten. Unser Mitgefühl, lieber Freund, unsere Anteilnahme gilt in besonderer Weise Deiner Ulla und Deinen Geschwistern.

Seit Du künstlerisch arbeitest, hast Du Dich mit Deiner engeren Umgebung auseinander gesetzt.

Den Ankunftstag in Deiner letzten Heimat – hier in Tiefenbach – hast Du in Deinem Kalender notiert: den 28. September. Also wenige Tage vor Deinem Tod war der 25. Jahrestag Deiner Ankunft hier in Tiefenbach.

In einem Deiner Briefe hast Du geschrieben:

„Tod und Sterben sind uns allen von der Geburt an mit auf den Weg gegeben worden.“

Dein Weg hat im Westfälischen begonnen. Er endet hier an der Lahn, am Rande des Taunus.

Wir vermissen Dich. Wir werden Dich nicht vergessen.

Gerhard